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Überzeugend Leise: Ein Interview mit Chris Wolf

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Das folgende Interview habe ich mit Chris Wolf geführt, der Autorin des Buches „Überzeugend Leise! Wie stille Menschen ihre Stärken wirkungsvoll nutzen.“ Darin zeigt sie vor allem auf, wie Introvertierte auch mit ihrer leisen Art im Beruf überzeugen können. Los geht’s.

Frau Wolf, warum und für wen haben Sie dieses Buch geschrieben?

Das ist eine interessante Frage. Mein Interesse am Thema kommt zu einem beträchtlichen Teil von meiner eigenen ausgeprägten Vorliebe für introvertierte Verhaltensweisen. Ich finde es anstrengend und bisweilen ärgerlich, dass diese Vorliebe bei vielen Menschen nicht wertgeschätzt wird und sie dadurch bei der Arbeit Benachteiligung erfahren. Eine Reihe solcher Professionals sind meine Kunden in Beratung und Training. Das Buch wendet sich an genau diese Gruppe: Menschen, die gerne und mit Herzblut ihrem Job nachgehen und denen bisweilen nahegelegt wird, mal aus sich herauszugehen oder sich in Richtung Extraversion zu entwickeln. Dabei können leise Menschen die gleichen Aufgaben bestens erfüllen, nur eben mit ihren eigenen Mitteln. Mein Buch zeigt Möglichkeiten, wie man mit den Mitteln des Introvertierten mit Themen wie Small Talk, Visibilität oder Präsentieren und einigen anderen gut zu Recht kommen kann. Es geht um konkrete Anregungen und bleibt nicht bei der allgemeinen Auseinandersetzung mit dem Thema Introversion stehen.

Seit wann beschäftigen Sie sich mit Introversion und Extraversion?

Solange ich denken kann. Ich glaube, bei vielen introvertierten Kindern ist das Thema immer präsent. Leider befürchten solche Kinder bisweilen einen Makel bei sich, so war es zumindest bei mir. Eine wissenschaftliche Beschäftigung begann während des Studiums der Psychologie und im geschäftlichen Kontext arbeite ich seit Beginn meiner Tätigkeit als Beraterin mit dem Thema, gerne mit dem MBTI (ein recht gutes und hilfreiches Testverfahren, welches u.a. die Dimensionen Präferenz für Intro- oder Extraversion betrachtet). In meiner Tätigkeit als Trainerin für Kommunikationsthemen fällt mir auf, dass ein beträchtlicher Teil der Trainings inhaltlich und methodisch und durch die Person des Trainers auf Extravertierte zugeschnitten ist. Das ist für leise Menschen oft schwierig.

Leise Menschen gehen in einer extravertierten Gesellschaft schnell unter. Wie können sie sich trotzdem Gehör verschaffen?

Indem sie sich auf ihre Stärken besinnen und diese nutzen und nicht versuchen, die Extravertierten zu imitieren. Dabei enden wir leisen Menschen immer als billige und unwirksame Kopie. Gehör finden können wir trotzdem. Das geschriebene Wort z.B. ist ideal für Introvertierte, weil man ausführlich nachdenken kann vor der Äußerung und beim Schreiben nicht sozial exponiert ist. So bietet uns z.B. das Internet mit seinen Blogs und Foren gute Möglichkeiten, Gehör zu finden. Ich glaube, der aktuelle Trend, über Introversion zu sprechen und nachzudenken und Bücher dazu zu veröffentlichen, hängt wesentlich mit dem Aufschwung solcher Medien zusammen. Diese kommen uns entgegen. Darüber hinaus finde ich, dass wir leisen Menschen eben genauer fokussieren müssen, an welchen Stellen wir Gehör finden mögen und dies dann mit unseren Methoden erreichen können. Im Grunde ist dies das zentrale Thema meines Buches.

Ihr Buch heißt „Überzeugend leise!“. Wie können Introvertierte denn am besten überzeugen?

Entgegen landläufiger Vermutungen hat Überzeugen nicht nur mit Lautstärke und Penetranz zu tun, wenngleich diese Faktoren auch begrenzt wirksam sein mögen. Um wirksam überzeugen zu können, ist Glaubwürdigkeit hilfreich. Leise Menschen mit fundiertem Wissen und spärlicheren und dadurch wertvollen Äußerungen können hier punkten. Leise Menschen in ihrer Art, verstehen zu wollen bevor das Sprachausgabemodul loslegt, haben bessere Chancen, wirklich zu verstehen, wie Überzeugen funktioniert und dadurch liegen ihnen auch Methoden des Überzeugens besser. Überzeugt werden ist leider der Selbstbeobachtung nicht gut zugänglich und Menschen wissen selbst nicht besonders gut, wie sie Entscheidungen treffen. Eine Chance für leise Menschen! Sie verstehen oft auch besser (oder überhaupt), worauf der Gesprächspartner hinaus will und punkten dadurch im Timing: Argumente werden zum richtigen Zeitpunkt eingesetzt.

Viele Menschen müssen in ihrem Beruf präsentieren. Welche Trümpfe halten Introvertierte dabei in ihrer Hand?

Zunächst bietet das Präsentieren zwei Herausforderungen: Das Überwinden von Nervosität vor der Situation (oder Lampenfieber) und die Fähigkeiten, die beim Präsentieren nützlich sind. Lampenfieber haben Menschen ganz unabhängig von Intro- oder Extraversion. Allerdings kann es sein, dass leise Menschen da noch vorsichtiger sind als lautere Menschen. Beiden Herausforderungen kann man meiner Ansicht nach ausschließlich durch Üben begegnen. Das ist eine trockene und unerfreuliche Wahrheit.
Falls man sich dieser stellt, dann haben leise Menschen eine ganze Reihe von „Trümpfen“, wie Sie das nennen. Man kann durch das Präsentieren Inhalte wirkungsvoll verbreiten, ohne dass man sich allzu direkt mit einer Gruppe von Menschen auseinandersetzen muss. Man kann sich aufs gründlichste vorbereiten und die Liebe zum Detail und für Feinheiten einsetzen. Der leise Humor mag (Übung vorausgesetzt) ideal unterstützen. Die Situation des Präsentierens ist hochstrukturiert und lässt uns so den Raum, den uns lautere Menschen in anderen Situationen gerne mal streitig machen. Insgesamt sind Präsentation und Reden ein ideales Medium für leise Menschen und so verwundert es auch nicht, dass viele der bekanntesten und besten Redner der Geschichte für introvertiert gehalten werden.

Sie schreiben auch über Macht. Sind Machtansprüche bei Extrovertierten stärker ausgeprägt oder wollen auch Introvertierte Macht ausüben? Wenn ja, wie üben leise Menschen Macht aus?

Ich vermute, dass es da keinen Unterschied gibt. Ich unterscheide einigermaßen holzschnittartig zwei Aspekte von Macht: Dominanz und Einfluss. Dominanz fokussiert stärker auf die überlegene Position. Status oder Ranghöhe, während Einfluss Gestaltungsmöglichkeiten meint. Man kann annehmen, dass viele Introvertierte eher weniger Interesse an Dominanz und mehr Interesse an Einfluss haben. Leise Menschen müssen sich stärker und bewusster um Visibilität bemühen, dazu finden Sie praktische Hinweise in meinem Buch. Die Fokussierung auf Gründlichkeit und das Überlegen vor dem Sprechen sollten den Introvertierten in Fragen der Macht nützlich sein, ebenso wie der leise Humor. Laute Menschen stellen sich bisweilen ein Bein, indem sie dazu neigen, auch mal beim Sprechen erst nachzudenken.

Introvertierte pflegen andere soziale Beziehungen als Extravertierte. In Ihrem Buch erwähnen Sie eine besondere Stärke der Stillen: Echte Gegenseitigkeit. Was meinen Sie damit?

Alle Beziehungen beruhen auf Gegenseitigkeit oder Reziprozität. Gleichzeitig brauchen gute Beziehungen Echtheit. Diese Kombination lässt sich besser von Menschen leisten, die es bevorzugen, wenige Beziehungen zu wichtigen Menschen zu haben und die diesen dadurch mehr Gewicht verleihen (können). Leutseliges Verteilen von Aufmerksamkeit auf zahlreiche Kunden könnte die entstehenden Beziehungen inflationär werden lassen. Darüber hinaus erfordert Gegenseitigkeit in Kundenbeziehungen ein wenig Nachdenken und bewussten und ehrlichen Einsatz. Das liegt uns leisen Menschen einfach mehr.

Haben Sie zum Abschluss noch einen Tipp für Introvertierte, die mit ihrer Veranlagung hadern?

Ja, absolut. Ich möchte anderen leisen Menschen raten, zu lernen, mit sich zu leben. Betrachten Sie Ihre Stärken und die Ziele, die Sie erreichen möchten und nicht den (bewunderten?) lauten Weg dahin. Der leise Weg mag anders sein, aber er führt genauso oder besser zum Ziel. Leise Menschen können wunderbare leise Wege finden. Und ich glaube, es ist wichtig, dass leise Menschen besonders auf ihre Ressourcen achten. Mit typisch introvertierter Gründlichkeit sind es nun zwei Tipps geworden, ich hoffe, Sie verzeihen mir dies.

 

Die Autorin

Chris Wolf arbeitet als Diplom-Psychologin seit über 15 Jahren in Beratung und Training. Themen aus Marketing, Führung, Verkauf und Kommunikation mit Patienten / Angehörigen sind dabei das Thema. Die eigene Präferenz für Introversion löste das Interesse für das Thema aus und führte zu ihrer großen Expertise in introversionsgerechten Trainingsmethoden und Kommunikationsmitteln.

Das Buch

Das Buch „Überzeugend Leise!“ kannst Du u.a. bei amazon bestellen.

Eine Leseprobe findest Du hier.

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Über den Autor

Mein Name ist Patrick und ich bin introvertiert. Oft habe ich mir gewünscht, extrovertiert zu sein, bis ich meine Veranlagung besser verstanden habe. Mehr über mich und mein Buch Kopfsache.

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