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Die komplizierte Beziehung zwischen Alleinsein und Einsamkeit

Introvertierte verbringen viel Zeit allein. Es ist für uns einer der besten Wege, unsere Akkus aufzuladen. Allerdings verwechseln gerade Außenstehende häufig „Alleinsein“ mit „Einsamkeit“. Sie erwarten Einsamkeit, wo gar keine ist und im Umkehrschluss fürchten sich Menschen vor dem Alleinsein, weil sie es mit Einsamkeit gleichsetzen.

Der große Unterschied

Die beiden Dinge haben miteinander gar nicht so viel gemein. Alleinsein ist nichts weiter als eine externe Zustandsbeschreibung. Es bedeutet, dass wir keine Menschen um uns herum haben. Dieser Zustand kann sowohl positiv als auch negativ für uns sein.

Einsamkeit hingegen ist intern, es ist ein Gefühl und damit sehr subjektiv. Es kann zum Beispiel etwas darüber aussagen, wie wir uns mit dem Alleinsein fühlen.

Allein zu sein führt also nicht zwangsläufig zu Einsamkeit. Ob wir uns einsam fühlen, hängt vielmehr von unserer Einstellung zu den äußeren Umständen und zu uns selbst ab.

Vorteile des Alleinseins

„Alleinsein“ ist ein ziemlich negativ besetzter Begriff. Dabei kann dieser Zustand durchaus angenehm sein. Als Menschen sind wir ja hin und her gerissen zwischen dem Wunsch nach Zugehörigkeit, aber auch nach der Unabhängigkeit und Letzteres setzt Phasen des Alleinseins voraus.

Vor allem für Introvertierte ist Zeit allein sehr wichtig. Der Rückzug zum Durchatmen entspricht schlicht unserem Naturell. Wir können ohne jedes Schauspiel wir selbst sein und entspannen.

Doch allein zu sein, dient nicht nur der Entspannung und auch nicht nur Introvertierten. Nur allein gibt es die notwendige Zeit, um neue Ideen und Pläne zu schmieden oder Ziele zu formulieren. Und überhaupt: Eine Herausforderung allein zu bewältigen, trägt in besonderem Maße zum persönlichen Wachstum bei.

Was genau ist Einsamkeit?

Während das Alleinsein bereits kein hohes Ansehen genießt, ist der Begriff der Einsamkeit durchweg negativ besetzt.

Es ist das subjektive Gefühl, von der Außenwelt abgeschottet zu sein. In einsamen Zeiten fühlen wir uns niemandem wirklich nah. Es gibt keine ausreichende Bindung zu vertrauten Menschen, denen wir unsere Gedanken mitteilen könnten. Einsamkeit geht einher mit Traurigkeit, Verzweiflung und der Sehnsucht nach Bindung.

Im Übrigen ist das Gefühl der Einsamkeit unabhängig davon, ob wir allein sind oder uns in Gesellschaft befinden. Zwar kann zu viel Zeit allein ohne Weiteres zu Einsamkeit führen, doch anders herum bedeutet dies nicht, dass die Gesellschaft anderer Menschen uns die Einsamkeit nimmt. Das gilt auch für Partnerschaften: „Gemeinsam einsam“ ist hier das Stichwort.

Hat Einsamkeit auch etwas Positives?

Nicht viel. Der schlechte Ruf der Einsamkeit ist durchaus begründet.

Manch ein Künstler mag das anders sehen. Nach dem Lesen einer Hermann Hesse Biografie wurde mir deutlich, dass Hesse seinerzeit gezielt die Einsamkeit suchte. Er hatte sogar Angst davor, nicht ausreichend zu leiden. Erst die Einsamkeit ermöglichte ihm das Schreiben seiner weltberühmten Werke. Hesse dürfte jedoch ein seltener Fall gewesen sein, der seine Schaffenskraft über sein persönliches Glück stellte.

Doch auch abseits dieser Extremfälle lässt sich dem Gefühl der Einsamkeit zumindest etwas abgewinnen: Es ist das klare Anzeichen für eine notwendige Korrektur. Kurze Phasen der Einsamkeit sind somit nicht schädlich, sondern eher hilfreich, um uns neuen Lebenssituationen anzupassen.

Dieses Anzeichen kann uns also letztendlich helfen, unsere Situation anzupacken und zu verbessern. Allerdings bringt Einsamkeit eine große Hürde mit sich: Sie wirkt lähmend!

Raus aus der Einsamkeit geht es aber nur mit Eigeninitiative. Einsamkeit kann nicht von außen geheilt werden. Daher muss die Lethargie selbst überwunden werden, indem wir uns zunächst überlegen, was uns im Leben eigentlich wichtig ist (z.B. tiefe Beziehungen) und dann Schritt für Schritt an der Erreichung dieses Ziels arbeiten.

Besonders Introvertierte müssen sich hier selbst an den Haaren aus dem Sumpf der Einsamkeit ziehen. Ihr Naturell zieht sie ins Alleinsein, doch um Einsamkeit zu überwinden, muss zunächst das Alleinsein überwunden werden, denn neue und tiefe Beziehungen entstehen nicht allein. Wer in die Einsamkeit gerutscht ist, muss also gegen die eigene Veranlagung arbeiten, um wieder auf ein gesundes Beziehungsniveau zu gelangen. Ohne Fleiß kein Preis.

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Über den Autor

Mein Name ist Patrick und ich bin introvertiert. Oft habe ich mir gewünscht, extrovertiert zu sein, bis ich meine Veranlagung besser verstanden habe. Mehr über mich und mein Buch Kopfsache.

Comments

  1. Hallo Patrick, was du schreibst, spricht mir aus der Seele: „Der Rückzug zum Durchatmen entspricht schlicht unserem Naturell. Wir können ohne jedes Schauspiel wir selbst sein und entspannen.“ Meiner Meinung nach ist die Rückzugsmöglichkeit für einen Introvertierten sogar ein ganz bestimmender Faktor in Sachen Glücklichsein. Erst das vollständige und unbeobachtete Alleinsein bringt uns wieder in Einklang mit unserer Umwelt und uns selbst. Natürlich hast du recht, sobald das Alleinsein sich in eine ständige Einsamkeit verwandelt, muss man gegensteuern. Doch umgekehrt ist es genau so wichtig, Phasen des Alleinseins in den Alltag einzubauen. Denn ohne die Möglichkeit zum Rückzug wird uns Introvertierte stets eine innere Unruhe umtreiben. Die Energie geht uns aus. Das Aufladen der Batterie, die Momente des Mit-uns-selbst-seins sollten wir daher ganz bewusst pflegen und für uns einfordern.

  2. Dieter Banseberg says

    Hallo Patrick,
    ich möchte dem Thema „Alleinsein und Einsamkeit“ noch ein paar Gedanken hinzufügen.
    Wie Du schon erwähnt hast, kann man sich einsam auch in Gesellschaft fühlen. Häufig wird die Einsamkeit in Gesellschaft noch deutlicher spührbar. Aber auch wenn man allein ist (zu Hause, in der Natur etc.), kann Einsamkeit dein Begleiter sein. Für mich ist Einsamkeit ein quälender „Zustand“, der unabhängig von der Gesellschaft mit anderen Lebewesen (Menschen, Tiere…) vorherrschen kann. Ein Zustand, der sich schlecht beschreiben lässt. Einsamkeit ensteht im tiefsten Innern der menschlichen Seele. Es ist ein „Gefühl“ des Abgetrenntsein, ein sich nicht verbunden fühlen, eine Art depressiver Zustand. Es ist die Abwesenheit von Gefühlen. Es ist ein dumpfer, ganz hart formuliert : ein toter Zustand. Eine „tote“ Seele in einem lebendigen Körper. Einsamkeit kann als seelische Kontaktlosigkeit zur Welt gesehen werden.
    Viele Menschen kennen dieses „Nicht-Gefühl“. Viele versuchen diesen Schmerz zu überdecken, weil er fast nicht zu ertragen ist. Es wird versucht ihn durch allemöglichen Dinge zu minimieren. Im Grunde kann Alles dazu (miss-) gebraucht werden die Einsamkeit nicht „spühren“ zu müssen: andere Menschen, Konsum, Drogen,Fernsehen, Internet, Sex ……
    Einsamkeit ist sowas wie unsere Urangst vor dem Sterben. Einsamkeit kann leider nicht überwunden werden durch Gesellschaft mit Anderen, oder durch irgend etwas Anderes von Außen.
    Es kann dadurch überwunden werden, wenn wir im tiefsten Inneren unseren Seele wieder spühren können, daß wir mit Allen(m) verbunden sind, mit allen Menschen, mit allen Lebewesen, mit der Erde, sogar mit dem Universum. Kleine Kinder können das noch. Es ist eine Liebe zu wirklich Allem und Jedem. Eine Neugierde auf Alles in der Welt, ohne Einschränkungen und Bewertungen. Keine trennenden Gedanken von Ich und Du von Gut und Böse.

    Allein sein geschieht auf der psychologischen Ebene, während Einsamkeit und deren Gegenteil das Eins-sein eine Sache ist, die eine Stufe tiefer auf der spirituellen Ebene stattfindet.
    Sich mit dem Leben und den Tod auseinander zusetzen. Nach einem Sinn zu forschen, einen Glauben zu entwickeln, die Liebe neu zu entdecken ( wie Kinder), meditieren usw. können dabei helfen der Einsamkeit zu begegnen.

    Geht auch „sehr“ gut, wenn man allein ist. 😉

    Ich hoffe, ich bin nicht zu tief in das Thema gedrungen.

    Danke für Deinen tollen, hilfreichen Blog.

    LG Dieter

    • Patrick says

      Hallo Dieter,

      danke für Deinen Kommentar. Der ging mir gar nicht zu tief. Jetzt habe ich sogar schon mehr Lust bekommen, mich über Einsamkeit (und wie man ihr entrinnt) zu informieren.

      Beste Grüße,
      Patrick

  3. Hallo Patrick,

    so wie du Herrn Hermann Hesse beschreibst (das wusste ich vorher nicht über ihn) so ging es mir vor relativ kurzer Zeit auch. Dafür gibt es einen Namen, der mir jedoch leider gerade nicht einfallen will…

    Ich war bzw. bin eigentlich immer noch in einer Lebenssituation, die man in der heutigen Neuzeit als Menschenunwürdig bezeichnen würde.
    Eine Situation die, gerade für mich als relativ starken Intro *und* Grafiker, mich in einer Körperstarre fallen lies. Ich sah nichts mehr, nahm meine Umgebung komplett null war. Ausschließlich denken und atmen – das war das einzige was ich tagelang tat, als es mir *richtig* schlecht ging. Das ging Etappenweise, mal 10-30 Minuten, mal bis zu 2 Stunden.
    Es waren größtenteils gar belanglose Gedanken, wie z.B. Gespräche mit Bekannten oder Freunden, denen ich erklärte was ein Introvertierter ist oder ich ihnen jede einzelne Szene meines Lieblingsfilms gezeigt und detailiert erklärt habe. Diese Gedanken waren so intensiv, dass ich einfach nichts von meiner Umgebung mehr wahr nahm. Ich war gefangen in den Ketten meiner Gedanken und verlore mich dadurch fast völlig. Heute jedoch geht es mir schon wieder besser.

    Hermann Hesse machte daraus etwas sinnvolles, und, auch wenn es mir nunmehr wieder weitaus besser geht, werde ich abwarten bis ich wieder in einer normalen Situation bin und werde mein Geschriebenes erneut lesen, verständlich Formulieren (teils extrem komplex und/oder wirr warr Geschreibsel) und ggf. werde ich es ihm gleich tun und es veröffentlichen (natürlich aber vergleiche ich mein Geschreibsel nicht mit ihm 🙂 ).

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