Dies ist ein Gastbeitrag von Oliver Domröse von Simply Feel it.
„ Wer nach außen schaut, träumt. Wer nach innen blickt, erwacht.“ - Carl Gustav Jung –
Seit gut einem Jahr weiß ich von meiner Veranlagung der Hochsensitivität. Seither beschäftige ich mich intensiv mit dieser speziellen Veranlagung. Das daraus gewonnene neue Selbstverständnis hat meine Lebensqualität und mein Wohlbefinden enorm gesteigert. Als ich vor einigen Tagen mit Patrick Emailkontakt hatte, fragte er mich, ob ich nicht einen Gastbeitrag zum Thema Hochsensibilität schreiben wolle. Gerne nahm ich dieses Angebot an, insbesondere auch deswegen, weil die Schnittmengen zwischen Introversion und Hochsensibilität hoch sind.
Was genau ist eigentlich Hochsensitivität?
In einem Satz ausgedrückt ist Hochsensitivität eine Veranlagung oder Neigung, Sinneseindrücke, Gedanken und Emotionen intensiver und langsamer zu verarbeiten als der „Rest“.
Das liegt insbesondere an der nachweisbar höheren Anzahl von Neurotransmittern in den Gehirnen von Hochsensiblen. Dies bedeutet aber auch, dass wir als Hochsensible schneller reizüberflutet sind und mehr Rückzugsmöglichkeiten benötigen, um all die einströmenden Reize und Eindrücke verarbeiten zu können. Diesen Vorgang nennt man „Überstimulation“.
Es ist mir wichtig zu betonen, dass diese Überstimulation nicht alleine durch äußere Eindrücke entstehen kann – sondern eben auch durch innere Eindrücke, zum Beispiel in Form von Gedanken und Emotionen.
Seit über zwanzig Jahren wird das Phänomen der Hochsensibilität erforscht. Bekannte Forscher wie C.G. Jung, Ivan Pawlow oder Alice Miller forschten und publizierten dazu. Doch erst die amerikanische Psychologin Elaine Aron hat sich ausschließlich auf das Thema Hochempfindlichkeit konzentriert und all die Publikationen aus den Vorjahren zu einem größeren Bild zusammengefügt und durch eigene Interviews ergänzt. Sie prägte schließlich 1996 den Begriff der „Highly Sensitive Person“ (HSP), zu deutsch: der hochsensiblen Person.
Insbesondere durch die Pionierarbeit von Elaine Aron können wir heute mit Gewissheit sagen, dass es sich bei Hochempfindlichkeit nicht um eine subjektive Befindlichkeit handelt, sondern um eine genetische Veranlagung – und zwar eine äußerst nützliche und sinnvolle.
Hochsensibilität ist schon bei der Geburt sichtbar. Nach meinen Recherchen und aufgrund meiner eigenen Biographie gibt es keinen Zusammenhang zwischen einer schweren Kindheit und dem Auftreten einer erhöhten Reizempfindlichkeit. Genauso wenig werden wir durch eine besonders glückliche Kindheit zu „Sensibelchen“.
Hochsensibilität ist schlicht und einfach eine genetische Veranlagung, die wir mit auf die Welt bringen und vor allem in die Welt einbringen sollen. So wie jemand mit einem musikalischen Gehör auf die Welt kommt, so kommen wir mit besonders feinen Antennen für Stimmungen, Emotionen und Umgebungseindrücken auf diese Welt.
Hochsensibilität und Introversion: fast kein Unterschied
Der Schweizer Psychoanalytiker C.G. Jung verstand unter Introversion einen Persönlichkeitstyp, „der sich der Welt nicht vorbehaltlos zuwendet, sondern dazu neigt, sich eher nach innen zu wenden.“
Unter anderem deswegen werden Hochsensibilität und Introversion sehr oft gleichgesetzt. In der Allgemeinheit werden wir Hochsensible aus mangelndem Verständnis sehr oft als schüchtern, gehemmt, verklemmt oder gar krankhaft angesehen. Eine falsche und negative Assoziation, die sicherlich vielen Introvertierten auch bekannt vorkommen sollte.
Deshalb ist es für beide Persönlichkeitstypen zunächst einmal wichtig, sich von gesellschaftlichen Vorurteilen zu befreien, um wirklich zu sich selbst und dem eigenen Wesen stehen zu können.
Was ist nun der Unterschied zwischen einem Introvertierten und einem Hochsensiblen?
Es gibt keinen. Fast keinen. Zumindest aus meinem Verständnis heraus. Hochsensiblen wie Introvertierten ist zu eigen, dass sie sich primär an den inneren Zuständen ihrer Mitmenschen sowie ihrer eigenen interessieren. Wenn wir mit einer Sache, einem Menschen oder einem Objekt beschäftigt sind, dann wollen wir wissen, warum es da ist, woraus es besteht, welchen Sinn es erfüllt, wie es ihm geht und in welcher Beziehung es zu anderen steht.
Wir stellen Fragen, und zwar Fragen, die in die Tiefe gehen. Ich kann das bestätigen. Wenn ich mich ganz bewusst auf einen guten Film oder ein Buch einlasse, dann tauche ich in eine andere Welt ab. Beim Schreiben erlebe ich das auch. Eine andere Person im Raum wäre da nur störend. Ich bin ganz mit dem „Objekt“ meines Interesses identifiziert. Am Ende des Films oder des Buches frage ich mich oft, ob ich die darin verborgene Botschaft des Autors verstanden habe. Ich möchte der Sache auf den Grund gehen und recherchiere oftmals danach im Internet. Ich möchte den Sinn verstehen.
Aus meinem Verständnis heraus gibt es zwischen einem introvertiert veranlagten Menschen und einem hochsensiblen kaum einen Unterschied. Die Gemeinsamkeiten im Erleben und Erfassen der Welt überwiegen. Ja, bezeichnete ich mich doch selbst jahrelange als introvertiert und schüchtern. Und tue es heute noch – mit dem zusätzlichen Wissen um meine sensitive Anlage.
Der einzige Unterschied könnte darin liegen, dass hochempfindliche Menschen etwas schneller zu einer Reizüberflutung (Überstimulation) neigen als Introvertierte. Bedingt durch die höhere Anzahl von Neurotransmittern (Botenstoffen) im Gehirn, die dafür verantwortlich sind, Informationen in bestimmte Gehirnareale zu leiten. Als Konsequenz daraus, sind wir schneller erschöpft und brauchen Rückzug und Erholung. Dies scheint aber auch vielen Introvertierten so zu gehen – von daher.
Hochsensitivität in einer Partnerschaft
Allgemein könnte man bis hierher denken, dass es Hochsensiblen aufgrund ihrer sensiblen Ader leichter fällt, Gefühle in einer engen Beziehung zu zeigen. Friede, Harmonie und Mitgefühl soweit das Auge reicht. Aber ganz so einfach ist es doch nicht!
Keine Frage: für uns als Hochsensible gibt es fast kein größeres irdisches Glück, als sich in einer liebevollen und vertrauensvollen Partnerschaft verstanden und angenommen zu fühlen. Sich in all seiner Verletzlichkeit und Sensitivität zeigen zu dürfen. Mit all unseren Freuden, Zweifeln, Ängsten und Hoffnungen.
Hinzu kommt unser großes Bedürfnis nach Nähe und Vertrauen und die damit verbundene Angst vor Konflikten.
Wie du aber sicherlich weißt, gibt es keine wirklich authentische Beziehung, ohne Konflikte und Reibungen.
Sobald ein gewisser Grad an Nähe und Vertrauen erreicht ist, treten unweigerlich alte Verletzungen und Muster aus der Kindheit auf. Die dann meistens auf den Partner projiziert werden. Wir verwechseln dann quasi unseren Partner mit unserer Mutter oder unserem Vater.
Leider ist es so, dass wir als Hochsensible sehr oft alte Verletzungen aus unserer Kindheit mit uns herumtragen, da unsere immense Gefühlsintensität selten gefördert oder erkannt wurde.
Ich kann da ein Liedchen von singen. Erging es mir doch jahrelang so in diversen Beziehungen. Du strahlst ein gewisses Resonanzmuster aus, welches dir immer wieder die gleichen Partner ins Leben spült, die dein altes Muster bedienen – solange bis du es verstanden oder aufgelöst hast.
Die Lösung: den aufsteigenden Schmerz als Teil deiner eigenen Vergangenheit anzuerkennen. Als Teil von Dir.
Dein Partner ist nur die Projektionsfläche dafür. Du übernimmst die Verantwortung dafür. Nur so kannst du immer weiter die Projektion und die Vorwürfe an deinen Partner zurücknehmen. Du begegnest deinem Partner in einem ganz neuen Bewusstsein. Die Schutzmasken sind gefallen und ihr seht euch in eurer ursprünglichen Unschuld und Reinheit. Dies sind wirklich einzigartige und fast heilige Momente.
Ein neues Bild von Männlichkeit
Mit meinem Bild von „Männlichkeit“ hatte ich in den letzten Jahren als „Sensibelchen“ so einige Schwierigkeiten. Wiederum etwas, was wahrscheinlich auch viele introvertierte Männer kennen. Egal, ob vom eigenen Geschlecht oder vom anderen, oft wurde ich als zu ruhig, zu verklemmt oder zu nachdenklich eingestuft.
Und mitunter sogar verspottet. So erging es mir zumindest viele Jahre. Ich nahm schon immer einen Unterschied zu anderen Männern wahr, doch konnte ich diesen nicht richtig benennen. Ich war halt irgendwie anders. Aber wie? Es gab Zeiten, da dachte ich ernsthaft, ich hätte soziale Phobien oder andere psychische Störungen.
Für mich als Mensch und insbesondere als Mann war der Schlüssel aus dieser Problematik, das vollkommene Annehmen meiner sensitiven Ader. Verbunden mit dem Verstehen, dass in unserer leistungsorientierten Gesellschaft eben nur die Werte einer „starken“ oder archaischen Männlichkeit von Bedeutung sind: roh, kraftvoll, durchsetzungsstark, kommunikativ, egoistisch. Dagegen ist zunächst mal nichts einzuwenden, doch ist es nur eine Seite der Männlichkeit.
Für mich heißt es heute, ein ganzheitlicher Mann zu sein, mit all meinen Persönlichkeitsanteilen in Verbindung zu sein:roh und kraftvoll, zart und empfindsam – zugleich! Erst dann fühle ich mich in meiner Mitte. Erst dann fühle ich eine authentische Stärke, die nicht blind herumschlägt, sondern die Kraft des Herzens benutzt, um zielstrebig und voller Tatkraft an ein Ziel zu kommen.
Aus meinen Beobachtungen heraus bekomme ich immer stärker den Eindruck, dass der Mann von heute ein Problem mit seiner Rolle hat. Die Frauen emanzipieren sich seit über 100 Jahren. Aber der Mann? Er verlässt sich sehr oft noch auf seine gesellschaftlich zugeteilte Rolle als Entscheider, Ernährer und Denker. Doch vielen modernen Frauen ist das heutzutage zu wenig. Sie können sich alleine ernähren, Karriere machen und ein eigenständiges Leben führen. Ihnen ist der kraftvolle und bestimmende Mann zu wenig. Sie vermissen seine sensitive und gefühlvolle Seite.
Deshalb appelliere ich an alle Männer, ihre sensitive Seite zu erforschen. Es gibt einge Anzeichen, an denen du erkennen kannst, dass du ein hochsensibler Mann bist. Du kannst zum Beispiel gut zuhören, hast andere Vorstellungen von Sexualität und besitzt ein großes Verantwortungsgefühl für dich und deine Umwelt.
Ich glaube, dass dies ein neues Bild von Mann-Sein im 21. Jahrhundert sein könnte: kraftvoll und gefühlvoll zugleich. Im Einklang mit all deinen Anteilen. Und dich vor allem für deine besonnene und sensitive Seite nicht mehr zu schämen oder sie zu verurteilen!
Ein eigener Schlag
Wir Hochsensiblen sind anders. Ohne Zweifel. Das Gefühl von Andersartigkeit, das wir seit unserer Kindheit haben, ist korrekt. Alleine das anzuerkennen, kann für das eigene Selbstbewusstsein schon von großer Bedeutung sein.
Wir haben keine Krankheit oder psychische Störung. Wir sind im Besitz einer Veranlagung, die uns dazu befähigt, mehr und intensiver zu fühlen und wahrzunehmen als andere. In früheren Epochen sprach man diese Eigenschaften Schamanen und Priestern zu. Sie waren Mittler zwischen den Welten.
Und das können wir auch heute sein. Vielleicht mehr denn je. Denn unsere Zivilisation driftet immer mehr auf eine Lebensweise der Zerstreuung, Ausbeutung und Oberflächlichkeiten zu. Wirklich innere Werte und Vorstelllungen verlieren zusehends an Bedeutung.
Man schätzt, dass ca. 15-20% der menschlichen Population im Besitz dieser Veranlagung ist. Somit sind und waren wir immer eine Minderheit. Eine Minderheit aber, die für die Entwicklung und den Fortbestand der Menschheit von Bedeutung ist. Und damit einer Meinung mit dem bereits erwähnten Analytiker C.G. Jung bin, mit dessen Worten ich diesen Beitrag abschliessen möchte:
„Die sensitiven Introvertierten sind Erzieher und Förderer von Kultur, deren Leben die andere Möglichkeit lehrt, die des inneren Lebens, das in unserer Zivilisation so schmerzlich fehlt.“
Über den Gastautor
Oliver ist Blogger & Veggi & Querdenker. Nach einer dreijährigen beruflichen Auszeit und den anschließenden Orientierungs- und Anpassungsschwierigkeiten, weiß er heute, wie er leben möchte: Frei und Selbstbestimmt. Und im Einklang mit seiner sensitiven Ader. Auf seinem Blog simplyfeelit schreibt er über gesunde Ernährung, Beziehungen, MannSein, Achtsamkeit, Minimalismus und Persönlichkeitsentwicklung.
Hallo Oliver,
ein sehr interessierter Beitrag von Dir. Ich bin 39 Jahre und seit ca. 10 Jahren in einer gewissen Selbstfindungsphase. Viele Jahre habe ich meine Sensibiltät komplett versucht zu ignorerien und diese irgendwie auf meine „verkorkste“ Kindheit geschoben, und dahingehend auch Bücher gelesen (inneres Kind u.ä.) Du schreibst, dass diese Sensibilität schon angeboren ist, aus dieser Perspektive habe ich dies noch garnicht gesehen und höre es heute zum ersten Mal. Du hast mit deinem Artikel für mich einen komplett neuen Blickwinkel eröffnet, damit lösen sich bei mir eine Vielzahl von Gedanken bzgl. Ursachenforschung etc.
Vielen Dank für deinen Beitrag, du hast mir sehr geholfen:-)
LG
Doreen
Hey Doreen,
das freut mich sehr, dass ich dir mit diesem Beitrag weiterhelfen konnte und sich dir ganz neue Perspektiven eröffnet haben.
Da wir als HSP sehr tiefgründig veranlagt sind, betreiben wir gerne eine Ursachenforschung in unserer Kindheit für unsere Andersartigkeit. Ging mir jahrelang genauso und erst vor zwei Wochen, beschäftigte ich mich erneut mit meinem inneren Kindanteil.
Dies kann sicherlich zur eigenen Selbstfindung nie schaden, gleichzeitig ist es sicherlich auch ganz sinnvoll, nicht alles durch die psychologische Brille zu sehen und einfach nur dankbar für diese spezielle Anlage sein. Die positiven Aspekte daraus zu sehen (wie Intuition).
Einfach dich annehmen und lieben wie du bist – und wenn ich dir mit meinem Beitrag dazu ein wenig verhelfen konnte, hat er seine Aufgabe erfüllt. 😉
Liebe Grüße
Oliver
Danke für den Artikel Oliver, wobei ich eins bemerken möchte.
Es gibt bis heute keine Bestätigung davon, das wir eindeutig beweisen konnten, das es sich um eine genetische Veranlagung handelt. Selbst Elain Aron schreibt, wenn auch nur sehr wenig darüber, das HSP sogar erworben werden kann. Ich gebe das nur zu bedenken, damit nicht ständig Irritationen in die weite Welt getragen werden.
Meine eigenen Erfahrungen und die ich in meinen 3 Jahren Gesprächskreis erfahren durfte, zeigen sehr unterschiedliche Ergebnisse. Auffällig ist vor allem daran, das es mehr Menschen gibt die damit eher sehr belastet sind und auch viele die es als Erklärung nehmen für in meinen Augen andere psychische Auffälligkeiten.
Selten sind es Menschen die diese Wesenheit mit Freude, innerem Reichtum und Glück leben. Die HSP-Facebook Gruppen stehen voll mit Gejammer und Klagen. Ich frage mich, ob das im Sinne der Natur ist, denn sie macht in meinem Verständnis nichts unkluges 😉
Ich fühle mich sehr bereichert durch meine Wesenheiten und Talente und genieße diese Eigenschaften sehr. Für jede Stärke gibt es immer das Gegengewicht, genauso umgekehrt. Das sollten wir nie vergessen.
Für meinen Geschmack wird HSP viel zu sehr überbetont als etwas BESONDERES… damit erheben sich leider einige Menschen über andere, statt zu sehen, das es in der Gesamtschau eine von vielen Ausdrucksmöglichkeiten ist, die wir Menschen haben.
Hi Beate,
vielen Dank für deine nützlichen Hinweise.
In der Literatur über HSP, die ich bisher gelesen habe, (Zartbesatitet, hochsensibel- was tun) wird ganz klar von einer genetischen Veranlagung gesprochen, die angeblich sogar durch Versuchsreihen nachgewiesen wurde. Das die Pionierin E. Aron sogar von einer späteren Aneignung spricht, war mir neu. Werde das noch mal recherchieren.
Wobei ich in einem meiner Artikel (Trauma & HSP) von der Möglichkeit ausgehe, dass durch eine frühe Traumatisierung, eine erhöhte Reizempfindlichkeit auftreten kann. Oder anders ausgedrückt: eine bereits vorhandene sich nochmals verstärkt. Es gibt dazu sehr kontroverse Meinungen in Expertenkreisen (Therapeuten etc.)
Grundsätzlich komme ich aus meiner Erfahrung in Gesprächskreisen wie du immer mehr zu der Erkenntnis, dass manche vermeintliche HSP diese Veranlagung als Erklärung oder Vorwand für eigentlich behandlungsbedürftige psychische Erkrankungen benutzen (oder dem Auseinandersetzen mit erlebten Schmerz). Deshalb ist es aus meiner Sicht sehr wichtig, hier genau zu differenzieren und ehrlich sich selbst gegenüber zu sein. (oder bewusst!)
Das Bereichernde und Wertvolle an sich und dieser Veranlagung zu sehen, anstatt zu jammern – genau darum gehts!
Kann deinen letzten Satz nur unterstreichen und finde ihn klasse: Wir nehmen uns manchmal zu wichtig und sollten die Gesamtschau nicht vergessen. Pack mir da gleich an die eigene Nase 😉
Danke für deinen informativen Kommentar.
liebe Grüße
Oliver
P.S. Deine neue Internetpräsenz zum Thema HSP habe ich mir gleich gespeichert. Vielleicht können wir mal was zusammen machen?
Hallo Oliver,
danke für den interessanten Text! Ich frage mich schon seit Längerem, wo eigentlich die Männer bleiben, die sich von ihrer zugeschriebenen Rolle emanzipieren. Erst in letzter Zeit nehme ich vereinzelt Beiträge dazu wahr (Gespräche IRL, Blogs, Vlogs, Zeitungsartikel, Kommentare etc.). Es ist schön zu sehen, dass viele solcher Beiträge aus den Reihen der Introvertierten und Hochsensiblen zu kommen scheinen!
Neue Definitionen von Männlichkeit und Weiblichkeit sind sicher ein wichtiger Schritt. Als Frau – ich kann ja nur für mich sprechen – bin ich selber in der Reflexion über Geschlecht an dem Punkt, wo ich fragen würde: warum überhaupt „Männlichkeit“ und „Weiblichkeit“ mit Attributen belegen? Schließt das nicht immer Leute zwangsläufig aus und schränkt das nicht immer noch viele Leute ein?
Ich nehme es so wahr, dass mein Geschlecht und meine Charaktereigenschaften nicht viel miteinander zu tun haben. In anderen Worten, ich habe nicht das Gefühl, dass mein Frau-Sein „von innen“ kommt. Allgemeiner formuliert würde ich sagen, dass eine Seele weder weiblich noch männlich ist, sondern dass das, was wir „weiblich“ und „männlich“ nennen, ein Zusammenwirken komplexer Vorgänge ist, die auf der interaktiven, kulturellen Interpretation körperlicher Eigenschaften beruhen. Das heißt, wir verknüpfen, platt gesagt, diese Genitalien mit diesen Eigenschaften und jene mit jenen. Im Laufe des Lebens lernen wir, uns entsprechend dieser Erwartungen zu verhalten und zu inszenieren. (Studien haben zum Beispiel gezeigt, dass Eltern bei kleinen Jungen eher forsches, wildes Verhalten durch positive Rückmeldungen fördern als bei Mädchen und umgekehrt bei Mädchen eher Zurückhaltung auf diese Weise „belohnen“. Über dieses Thema gibt es ja Hunderte an Untersuchungen). Manche schaffen es nun eher, den an sie gestellten Erwartungen zu entsprechen als andere. So wie du es ja auch beschreibst.
Ich finde es wichtig, über die Verortung der Geschlechter in der Gesellschaft zu reden. Beide Geschlechter müssen heute noch damit leben, dass sie in vielen Bereichen des Lebens aufgrund ihres Geschlechts nicht „sie selbst“ sein können. Für Männer ist es oft schwierig, sich verletzlich und gefühlvoll zu zeigen, für viele Frauen ist es zum Beispiel ungleich schwerer, sich Gehör zu verschaffen, weil das Wort einer Frau noch immer weniger gilt. Und natürlich gibt es Menschen, die sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht, beiden Geschlechtern oder einem dritten Geschlecht zugehörig fühlen; die sich einem Geschlecht zugehörig fühlen, aber von der Umwelt dem anderen Geschlecht zugrechnet werden oder die sich überhaupt nicht festlegen wollen.
Ich für mich finde, ich brauche keine Definition „als Frau“. Ich würde also nicht notwendigerweise sagen, dass ich eine „starke und gefühlvolle Frau“ bin, sondern ich komme gut mit der Definition „starker und gefühlvoller Mensch“ (und natürlich noch vieles Weitere) klar. Ich habe aber auch kein Problem damit, als Frau und weiblich bezeichnet zu werden. Genauso wie ich kein Problem damit habe, als weiß und grünäugig und Europäerin und Studentin und … bezeichnet zu werden. Ich möchte nur nicht, dass diese Bezeichnungen zu irgendwelchen Rückschlüssen auf meinen Charakter führen oder mich in irgendwelchen Situationen in meinem Leben behindern. Genauso möchte ich nicht, dass es anderen Menschen mit anderen Zuschreibungen so geht.
Das heißt, anders gesagt, ich möchte mich in keiner Situation in meinem Leben fragen müssen: „Kann ich als Grünäugige dies oder jenes tun/diese oder jene Charaktereigenschaft zeigen und werde ich damit akzeptiert?“ Das klingt absurd, aber wenn man „Grünäugige“ durch „Mann“, „Frau“, „Schwarzer Mensch“, „transsexueller Mensch“ etc. ersetzt, dann sieht es schon ganz anders aus.
Ich wäre also weit davon entfernt, zu sagen, dass diese Zuschreibungen wie Mann, Frau, etc. uns nicht definieren, denn sie tun es von Kindesbeinen an dadurch, dass sie uns bestimmte Positionen in der Gesellschaft zuweisen.
Aber ich würde sagen, dass auch Neudefinitionen von Geschlecht eben nur ein kleiner Schritt sind. Denn in einer Gesellschaft, in der keine Diskriminierung aufgrund irgendwelcher Merkmale herscht, wären auch Mann und Frau nur neutrale Beschreibungen wie „grünäugig“. (Analog zu Bob Marley: “ Until the color of a man’s skin is of no more significance than the color of his eyes, there is a war.“)
Warum also Geschlechtszugehörigkeit weiterhin mit Bedeutung aufladen? Auch wenn die Bedeutungen sich ändern? Braucht es neue Männer- bzw. Frauenbilder oder braucht es nicht viel eher einen Bedeutungsverlust von „Mannsein“, „Frausein“, „Transsein“, etc.?
Hallo Euliz,
danke für deinen ausführlichen Kommentar.
Aus meiner Sicht ist es ein komplexes Thema mit dem Mann und Frau sein. Vielen was du geschrieben hast, kann ich zustimmen, z.b. das wir nicht in einem luftleeren Raum leben, sondern in einem kulturellen Kontext eingebunden sind, der je nach Kultur, andere Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit hat – und diese dann natürlich von Kindesbeinen an weitergibt bzw. prägt.
Gleichzeitig spreche ich einem Mann und einer Frau ganz eindeutige Attributte zu. Es sind Typen, oder Polaritäten, die beiden etwas beitragen, und keines von beiden besser ist, und erst in ihrer Verschmelzung „Ganz“ werden (schön zu sehen in der trantrischen Philosophie zum Beispiel). Und weiter hat natürlich jede Frau ihren inneren Mann und jeder Mann seine innere Frau in sich – wiederum geht es hierbei um eine Vereinigung.
Also: Klar sind wir alle zunächst mal Menschen – aber die Evolution/Natur hat sich bei der Schaffung dieser unterschiedlicher Attribute sicherlich was bei „gedacht“ – und dabei fixiere ich mich nicht rein auf die geschlechtliche Unterscheidung.
Im Übrigen ist die Diskussion über die Aufhebung der Geschlechter (Genderdebatte) ein typisch Post-modernes Phänomen unserer Zeit („Alles ist Eins und Gleich“).
Wahr, aber nur zum Teil – würde der Bewusstseinsforscher Ken Wilber sagen – den ich an dieser Stelle empfehlen möchte.
Soweit meine Ansicht dazu. Danke für deinen interessanten Beitrag und alles Gute.
LG
Oliver
Hallo Oliver,
ich hoffe du kannst etwas Licht ins Dunkel bringen 🙂
Ich bin seit ca. 6 Monaten mit einem hochsensieben Mann zusammen, es hat gut angefangen wir waren uns relativ schnell nahe, reden wahnsinnig viel un dich bin selbst sehr einfühlsam und nehme wo ich kann Rücksicht. Seit 3 Wochen (er war lange Zeit beinahe dauerhaft bei mir zu Hause) zieht er sich zurück er sagt es hat nichts mit unsere Beziehung zu tun aber es ginge ihm zu schnell und er bräuchte den Abstand um sich zu regenerieren. Ich gebe ihm die Zeit denn mir ist die Beziehung sehr wichtig und er ist ein toller Mann. Er kommt nicht wirklich gut mit einen Teeni-Kids zurecht, es überfordert ihn einfach, auch das hab ich akzeptiert. Mein Problem ist nun das ich nicht wirklich weiß wo ich stehe, liebt er mich überhaupt und will er nur meine Gesellschaft? Ich bekomme das nicht wirklich aus ihm raus. Er macht mir keine Komplimente, schreibt mir nicht das ich ihm fehle oder das er mich vermisst wenn wir uns einpaar Tage nicht sehen. Ist er bei mir ist er aufmerksam, hilft mir im Haus sehr viel macht und tut unternimmt viel mit mir ich kann mich nicht beklagen, ich weiß nur nicht ob von seiner Seite her wirklich tiefe Gefühle sind.
Wie soll ich reagieren, wie merke ich ob ich ihm wichtig bin wenn er es mit Worten schon nicht sagen kann?
Vielen lieben Dank