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Warum Introvertierte die Evolution überlebt haben

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In einem der vielen Bücher über Introversion stieß ich auf einen interessanten Gedanken: Wenn Extroversion in den meisten Gesellschaften die präferierte Veranlagung ist, warum gibt es dann überhaupt noch introvertierte Menschen? Die Evolution könnte unsere hohe Sensibilität doch längst abgeschafft haben. Deutet dieser Umstand vielleicht darauf hin, dass jede Gesellschaft auch Introvertierte braucht?

Doch gehen wir erstmal einen Schritt zurück. Was ist eigentlich Evolution? Ich greife mal auf Wikipedia zurück, da die Definition viel praxistauglicher ist als das, was der Duden schreibt.

Evolution ist die Veränderung der vererbbaren Merkmale einer Population von Lebewesen von Generation zu Generation. (Quelle: Wikipedia)

Introversion ist ein solches vererbbares Merkmal. Es gibt wohl keine brauchbaren Studien, doch die Tendenz geht dahin, dass etwa 40-50% der introvertierten oder extrovertierten Eigenschaften angeboren sind, der Rest ist anerzogen. (Quelle: Susan Cain in „Still“)

Dem Prinzip der Natürlichen Selektion folgend, sind „ungünstige“ Merkmale von Individuen in der nachfolgenden Generation weniger häufig vertreten. Ein Merkmal, das dem Überleben eher hinderlich ist, wird also mit der Zeit ausgerottet.

Introversion in der Gesellschaft

Ich denke es ist unstrittig, dass Introversion in unserer Gesellschaft tatsächlich als etwas Hinderliches gesehen wird. Wie oft habe ich gehört, dass man nur mit Ellenbogen voran kommt oder mit „Vitamin B“ oder indem man lauter ist als alle anderen. Da ist ja auch etwas dran. Doch das Wörtchen „nur“ passt nicht, denn es geht auch anders.

Ganz offensichtlich sogar geht es anders. Introversion scheint in gewissen Situationen Vorteile zu haben, sonst würde es die Evolution nicht so gut mit uns meinen. Das betrifft nicht nur Menschen. Auch in der Tierwelt gibt es weniger sensible und hoch sensible Typen. Dieses Merkmal setzt sich also immer und überall wieder durch (es ist jedoch immer in der Minderheit). Doch warum? (Quelle: Susan Cain – Still, LiveScience.com)

Kann es also sein, dass eine funktionierende Gesellschaft uns braucht, um ihr Überleben zu sichern? Evolutionstheoretisch wäre es gar nicht anders zu erklären. Variierte Veranlagungen erhöhen sogar die Chancen des Überlebens unserer Spezies.

Elaine Aron (Autorin von The Highly Sensitive Person) erklärt den Bedarf an Introvertierten mit der „Krieger und Berater Theorie“. Demnach kann eine Gesellschaft, die immer höher, schneller und weiter will nur dann überleben, wenn es nicht nur Krieger gibt, sondern auch Berater. In turbulenten Zeiten brauchen wir Menschen, die auch mal innehalten, alles gegeneinander abwägen und unpopuläre Entscheidungen treffen, die die Mehrheit vor einer großen Dummheit bewahren.

Democracy cannot survive without the guidance of a creative minority. (Harlan F. Stone)

Ich kann mir gut vorstellen, dass eine rein extrovertierte Welt heute längst in Schutt und Asche läge (was nicht bedeuten soll, dass eine rein introvertierte Welt lebenswert wäre). Doch wir müssen gar nicht so weit gehen und von Kriegen sprechen. In jeder Lebenslage brauchen wir kreative Denker: Für eine funktionierende Demokratie, zur Lösung politischer Herausforderungen, für nachhaltiges Wirtschaften und auch im Privatleben stellt der ruhige Denker einen angenehmen Ausgleich zum täglichen Geschnatter dar.

Im Übrigen braucht jede Gesellschaft natürlich wesentlich weniger Denker als Macher. Zufall, dass die Evolution introvertierte Individuen immer in der Minderheit hält? Das ist reine Spekulation, aber eigentlich ein ganz netter Gedanke.

Introvertierte sollten sich ihrer Stärken bewusst sein und entsprechende Rollen annehmen. In einer Gesellschaft, die uns ständig unsere Schwächen vor Augen hält, ist das besonders wichtig. Dann müssen wir uns auch nicht durch unsere Veranlagung benachteiligt fühlen. Oder ist ein Pinguin etwa betrübt, weil er nicht fliegen kann?

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Über den Autor

Mein Name ist Patrick und ich bin introvertiert. Oft habe ich mir gewünscht, extrovertiert zu sein, bis ich meine Veranlagung besser verstanden habe. Mehr über mich und mein Buch Kopfsache.

Comments

  1. Über den Punkt der natürlichen Auslese und Introversion habe ich auch schon oft und viel nachgedacht – auch über Evolution und ADS (ohne Hyperaktivität).

    Ich stimme dir vollkommen zu, denke aber außer dem, dass Introvertierte und ADSler die besseren Jäger bei stillen Jagdstilen sind. Wir lieben die Beobachtung. Und was uns in der Großstadt oder im Großraumbüro mit seinen vielen Reizen schnell zu viel wird, kann in der Natur genau die richtige Dosierung sein.

    Wir ADSler bekommen jede noch so kleine Veränderung mit – auch das Reh im dichten Wald in 100 Metern Entfernung; ob optisch oder akustisch. Und wir Introvertierten haben die Ruhe und Gelassenheit, dann nicht gleich auszurasten und loszupreschen, sondern weiter zu beobachten und vielleicht gar nicht zuzuschlagen, sondern weiter Informationen über dieses Reh zu sammeln (woher kommt es? wohin zieht es? gibt es noch mehr?), um es am nächsten Tag perfekt zu erlegen.

    Aus den gleichen Gründen sind wir die perfekte Nacht-/Feuerwache. Was den reizsuchenden Extravertieren schnell überfordert (und bspw. vom Schlaf übermannen lässt), kann für einen Intro und/oder ADSler genau richtig sein.

    Was ich übrigens interessant finde: In Notsituationen, wenn ich auf instinktives Handeln angewiesen bin, überflügle ich häufig meine extravertierten Mitmenschen. Dann bin ich der, der ruhig, aber trotzdem blitzschnell bin. Anders als normalerweise kann ich dann auch besonders streng sein und Anweisungen geben. Oder Dinge, die umgestoßen wurden, auffangen, noch bevor die Extros überhaupt eine Regung zeigen.

    Ich würde behaupten, dieser Not-Modus hat mir schon das eine oder andere Mal die Gesundheit oder gar mein Leben gerettet. Vom Bach, in dem ich als Kind fast ertrunken wäre, über das Auto, das bei Nässe herumschlingerte aber von mir noch abgefangen wurde. Wenn ich auf den Instinkt reduziert werde, dann bin ich meist schneller und besser als die anderen.

    Andererseits ist diese Ambivalenz aber vielleicht nur ein Auswuchs davon, dass kein Mensch nur intro- oder extravertiert ist. Oder dieser Instinkt ist ein Auswuchs eines nochmal anderen Aspekts, der von der Wissenschaft einfach noch nicht behandelt wurde. Die Psychologie ist ja noch eine recht junge Disziplin.

    Danke für diese Seite 🙂

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