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Warum Introvertierte selten euphorisch sind

„Don’t get too excited, Patrick!“ Mit diesen Worten zog mich unser Reiseleiter David mehrmals auf, als wir mit dem Mountainbike durch Australiens Regenwald fuhren. Ich mochte die Tour und habe das auf Nachfrage mehrmals ausgedrückt. Doch offenbar nicht euphorisch genug für David. Ich erklärte ihm, dass ich einfach nicht „excited“ wäre und das bei mir ein Normalzustand sei.

Zu diesem Zeitpunkt wusste ich schon, dass Introvertierte in Erfolgssituationen weniger begeistert reagieren. Einige Wochen zuvor hatte ich die ersten Bücher über Introversion gelesen. Diese Erkenntnis half mir, David’s Neckereien mit Humor zu nehmen, anstatt an mir selbst zu zweifeln. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ich mich frage: Warum kann ich mich nicht so ausgelassen freuen wie andere?

Susan Cain schreibt dazu: „Introverts don’t ‚buzz‘ as easily.“ Wir sind dazu programmiert, Belohnungen herunterzuspielen und Euphorie zu bremsen, um nach möglichen Problemen zu suchen. Introvertierte werden sofort vorsichtig und vergleichen ihre Erwartungen mit ihren Erfahrungen. (vgl. Quiet – Susan Cain)

Das kann ich absolut bestätigen. Hin und wieder werde ich euphorisch, wenn es um eine tolle Geschäftsidee geht. Plötzlich erträume ich mir all die Chancen, die eine Idee mit sich bringt. In diesem Moment weiß ich allerdings schon, dass ich euphorisiert bin und nicht klar denke. Also zwinge ich mich dazu, das Thema für ein paar Tage ruhen und die Idee im Unterbewusstsein arbeiten zu lassen. Klar, dass später alles weniger rosig aussieht und ich die Idee eher verwerfe, als sie weiter zu verfolgen. Dadurch erspare ich mir viel Ärger – verpasse aber auch eine Chance. Der nächste ganz große Geschäftserfolg entsteht so ganz sicher nicht.

Der extrovertierte Weg

Extrovertierte Menschen sind anders gepolt. Sie arbeiten wesentlich stärker auf Belohnungen hin – sie brauchen diese Belohnungen sogar als Ergebnis ihrer Mühen. Wenn sie ein Problem sehen, bremsen sie nicht ab um zu reflektieren, sondern geben erst recht Vollgas, um an ihre Belohnung zu gelangen.

Die unterschiedliche Herangehensweise ist auf die jeweilige Dopamin-Sensitivität zurückzuführen. Extrovertierte brauchen mehr Dopamin, also mehr Nervenkitzel und sie riskieren mehr, um ihre Ziele zu erreichen. Wenn sie ihre Belohnung erhalten, freuen sie sich umso ausgelassener.

Introvertierte hingegen reagieren stärker auf Dopamin und brauchen weniger Nervenkitzel. Zu viel davon erschöpft sie eher, als sie zu euphorisieren.

Die zwei Seiten der Euphorie

Also, ein klarer Vorteil für Extrovertierte? Kommt darauf an!

Zum einen würde ich davon ausgehen, dass stark extrovertierte Menschen seltener eine große Chance liegen lassen und diese zielgerichtet verfolgen. Wenn sie ans Ziel gelangen, können sie ihren Erfolg genießen und sich ausgiebig freuen. Das ist ein Zustand, den ich nur sehr selten erlebe und oft vermisse.

Auf der anderen Seite werden Extrovertierte durch ihre Veranlagung zu Fehlern verleitet, die aus unserer Sicht vermeidbar wären. Extrovertierte reagieren beispielsweise deutlich stärker auf Glücksspiele. Das Belohnungssystem ist so sehr aktiviert, dass der Verstand aussetzt. Als Introvertierter gehe ich von vornherein sehr nüchtern an dieses Thema und spiele gar nicht erst (kann dadurch aber auch nichts gewinnen).

Letztendlich gleicht sich also alles aus. Um es in Anlehnung an Goethe auszudrücken: Ich bin selten himmelhoch jauchzend, aber auch kaum mal zum Tode betrübt. Ob es besser oder schlechter so ist, weiß ich nicht. Es ist wie es ist.

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Über den Autor

Mein Name ist Patrick und ich bin introvertiert. Oft habe ich mir gewünscht, extrovertiert zu sein, bis ich meine Veranlagung besser verstanden habe. Mehr über mich und mein Buch Kopfsache.

Comments

  1. Das mit der Euphorie ist wirklich so eine Sache. Auch ich kenne die ständigen Zurufe: „Das lässt dich wohl kalt?“ „Freu dich nur nicht zu viel.“ etc.
    Obwohl ich mich liebend gern freuen würde wie ein Extro. Also habe ich angefangen es tatsächlich zu trainieren. Ich habe mir eingeredet: Denk nicht darüber nach, freu dich einfach. Was echt hart war und sehr unecht und hölzern wirkte.
    Inzwischen schaff ich es aber tatsächlich mich ehrlich und euphorisch zu freuen. Zu quietschen (ja immer noch leise) und herumzuspringen. Allerdings auch nur vor Menschen die ich sehr gut kenne. Ansonsten geniere ich mich immer noch zu sehr. Aber auch das will ich irgendwann schaffen.
    Nur eines werde ich nie meistern: Mich sehr lange zu freuen. Die Anfälle sind immer noch sehr kurz und werden es stets bleiben. Der Dopaminausschuss wird mich immer überfordern. Ich bin stets danach völlig ausgelaugt… aber glücklich!

    • Hallo Jana,

      das finde ich sehr interessant. Vielleicht lässt sich Euphorie oder große Freude ja tatsächlich erlernen.

      Ich muss das auch ein bisschen relativieren, je länger ich über die Euphorie nachdenke. Es gibt schon auch Situationen, in denen ich mich sehr freue, die sind jedoch sehr selten. Eventuell führe ich das irgendwann mal etwas genauer aus.

      Viele Grüße,
      Patrick

  2. Wow, ich finde mich so wieder in deinen Texten.
    Ich kann mich noch lebhaft an die Verkündung des Abi-Bestehens erinnern. Alle fielen sich Tränenüberstromt, glücklich kreischend um den Hals und ich dachte nur „Gut, jetzt habe ich mein Abi, das wäre abgehakt, dann kann ich jetzt nach Hause gehen“ und verstand so gar nicht wie die alle so kreischen konnten ???
    Mein Mann singt immer aus Spaß, „You´re as cold as ice“

    • Hehe, ich bin auch weder beim Abi, noch beim Diplom ausgeflippt. Geschafft, und dann kommt das nächste Projekt 😉

    • Abi, Diplom, Plattenvertrag, Projektabschluss … ich verstehe genau, was Ihr beschreibt. Aber auch die Gegenseite möchte ich erwähnen: der Tod von Lady Di, der 11. September – die Menschen waren paralysiert, handlungsunfähig, und ich dachte nur: „Hey, wir starren jetzt alle gemeinsam seit 10 Minuten auf den Fernseher. Ja, es ist schrecklich, aber können wir jetzt endlich weitermachen?“

    • Mir ergings beim ABI ähnlich. Für alle war das ne megagroße Sache, während sich bei mir nicht großartig euphorische Gefühle bemerkt gemacht haben.

  3. Ich bin froh, dass ich deine Geständnisse eines introvertierten Reisenden gefunden habe und dass du dem Thema gleich eine ganze Seite widmest. Diesen Artikel könnte ich mehr oder weniger so unterschreiben. Selten habe ich wirkliche Euphorie-Gefühle. Auf der negativen Seite siehts leider ein bisschen anders aus. Meine Meinungen kann ich ausdrücken, aber meine Gefühle auszudrücken musste ich erst lernen.

    • Hallo Cali,

      schön, dass Du hier hergefunden hast.
      So geht’s uns vermutlich auch allen: Gefühle auszudrücken ist nicht die leichteste Aufgabe. Immer noch.

  4. Christoph says

    Hallo Patrick,

    du hast einen schönen Artikel geschrieben, in dem ich mich auch zum Großteil wiederfinde. Mit dem Dopamin ist das immer so eine Sache, was ich allerdings vermisse, ist das ruhige Glück. Serotonin ist doch auch ein wichtiger Teil vom Glücksempfinden. Zwar wird man davon nicht wirklich euphorisch, doch man fühlt sich eben einfach Wohl und nach eigener Erfahrung würde ich sagen, dass dies um so öfter vorkommt.
    Anstatt jetzt zu schreiben was bei mir genau so ist wie in dem Artikel oder den anderen Kommentaren, schreib ich lieber mal was bei mir lustiger weise anders ist.

    Vor einiger Zeit bin ich regelmäßig mit einem Bekannten Fahrrad gefahren, das lief auch immer glatt, doch irgendwann verfingen sich meine Schnürsenkel im Zahnrad des Fahrrads. Also musste ich natürlich aufhören zu tretenn, wurde immer langsamer und langsamer, bis ich letztendlich stand und umfiel. Mein Bekannter ist natürlich umgedreht und wollte mir helfen wieder auf die Beine zu kommen, aber ich lag da einfach nur, konnte mich vor Lachen nicht mehr einkriegen und wollte ihm signalisieren, dass er mich liegen lassen soll.

    Sowas passiert mir immer wenn ich einen Unfall habe oder auch wenn ich mich verletze weil ich in dem moment dumm war oder es von außen lächerlich ausgesehen haben muss. Also versehentlich gegen Wände laufen, stoßen usw. Ich muss mir dann immer vorstellen wie es für einen Zuschauer gewirkt haben muss und dann könnte ich mich vor Lachen krümmen.
    Mein Gegenüber kapiert dann meist nicht was los ist und ist nicht selten sauer auf mich, da er denkt dass etwas schlimmes passiert sein muss, weil ich liegen bleibe statt aufzustehen und mich dann lachen sieht.
    Das passiert auch nur wenn es mir selbst passiert und nicht wenn ich Vergleichbares bei anderen beobachte.

    Ich seh das auch nicht wirklich als Problem an, also keine Sorge.

    Groß, Christoph

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